Das letzte Stück zur Talstation nehme ich im Laufschritt. Endlich geht es wieder mal auf den Pfänder – natürlich mit der Pfänderbahn! Ich will unbedingt zu den Murmeltieren, um ihnen einen guten Winterschlaf zu wünschen. Und meine Schwester möchte irgendwas mit der Erdkrümmung überprüfen. Mama löst Fahrkarten, dann kommt schon die nächste Gondel. Ich finde die rundum verglasten Kabinen der Seilbahn großartig und stelle mich hinten an die Fensterfront. Schließlich weiß ich, wo es gleich den besten Ausblick gibt. Ein kurzes Piepen, die Türen schließen fast lautlos, und mit einem sanften Ruckeln geht es los.

Ganz ruhig schweben wir hinauf auf den Bregenzer Hausberg. Mama diskutiert mit meiner Schwester über die Villen und Swimmingpools, die am Pfänderhang vorbeiziehen. Typisch Frauen! Sie verpassen das Beste: Denn Bregenz schrumpft gerade zur Liliputstadt und der Bodensee wird zum Teich mit Miniaturhäfen, Buchten und Landzungen. Übers Rheintal bis in die Schweizer Berge und auf der deutschen Seite weit ins Allgäu sieht man schon. Wir fahren über ein Tannenmeer, erst kurz vor der Bergstation lichtet es sich. Dort unten sind meine Murmeltiere! Wir sind da: 600 Höhenmeter in ungefähr 6 Minuten. Zu Fuß bräuchten wir ewig auf den 1.064 m hohen Pfänder. Papa ist sportlich, der schafft es in einer Dreiviertelstunde – behauptet er zumindest.

Nahaufnahme eines Steinbocks Nahaufnahme eines Steinbocks

Oben riecht es toll nach Berg, Wald und Herbst. Ich nehme ein paar tiefe Atemzüge. So, ab in den Alpenwildpark! Aber meine Schwester will zuerst das mit der Erdkrümmung klären. Angeblich kann man sie bei einer Fahrt auf den Pfänder erkennen. Wir schauen also durch das Fernrohr neben der Bergstation. Der Untersee liegt im Dunst, Konstanz am anderen Seeende sehen wir nicht, doch die Hügel dahinter. Und 240 Alpengipfel kann man an klaren Tagen vom Pfänder aus zählen. Auf der Panoramakarte stehen die Namen der Berge. Aber ein Hinweis von wegen Erdkrümmung? Egal, ich will jetzt zu den Tieren.

Tannenzapfen, Moos, Nüsse auf Holzbank Tannenzapfen, Moos, Nüsse auf Holzbank

Ein paar Steinböcke kraxeln in der steilen Felswand. Das sind Kletterkünstler, da wird einem nur vom Hinschauen schwindelig. Die Wildschweine kommen zutraulich näher, bis ein Hirsch im Rotwildgehege laut röhrt. Es ist Brunftzeit. Auch zwei Mufflonböcke rangeln miteinander, dass die Hörner krachen. Mufflons sind die Vorfahren unserer Hausschafe, lesen wir auf der Infotafel am Rundwanderweg. Nur meine Murmeltiere verstecken sich. Doch wenn man ein bisschen wartet, strecken sie die neugierigen Nasen aus ihrem weitverzweigten unterirdischen Reich. „Schönen Winterschlaf“, flüstere ich.

Tafel mit Wildschweinen. Aus dem Leben des Wildschweins Tafel mit Wildschweinen. Aus dem Leben des Wildschweins

Zur Stärkung lädt uns Mama auf Kakao und Kuchen ein. Davor probiere ich noch die Röhrenrutsche am großen Spielplatz aus. Klasse Beschleunigung, würde ich sagen. Und wer sich traut, richtig hoch zu schwingen, sieht von den Schaukeln Richtung Süden über den ganzen Bregenzerwald. Dann spazieren wir den kurzen Weg zur Pfänderdohle hinunter. Auf der Terrasse des alten Gasthauses kuscheln wir uns auf eine Holzbank an der warmen Wand und genießen das Herbstlicht. Es gibt heute Topfenstrudel mit Vanillesauce!

Zwei Kinder in der Pfänderbahn Zwei Kinder in der Pfänderbahn

Die Sonne steht schon tief, als wir die Pfänderbahn ins Tal besteigen. Ich habe gar keine Lust, meine Bergwelt zu verlassen. Aber Mama sagt, wir kommen bald wieder. Sobald es schneit, zum Rodeln und im Frühling, um die Murmeltiere zu wecken und dem Nachwuchs „Hallo“ zu sagen: den Mufflonlämmern, den Kitzen, den Frischlingen... Während der Talfahrt stehen wir zu dritt vorne an der Glasfront der Kabine. Die Sache mit der Erdkrümmung ist ja noch offen. Wir lassen kein Auge vom Horizont, von den flachen Hügeln am anderen Ende des Sees. Und auf einmal sind sie weg und wir sehen nur noch das silbern blinkende Wasser des Bodensees. Das Land ist darin versunken, weil die Erdoberfläche krumm ist. Ich bin beeindruckt: So groß ist mein See! Und so hoch mein Lieblingsberg, dass ich bloß hinauffahren muss, wenn ich mal richtig Überblick brauche.

Zwei Kinder lesen einen Plan auf dem Pfänder Zwei Kinder lesen einen Plan auf dem Pfänder

Bilder: Petra Rainer